Zugfahrt
Ich sitze im Zug. Langsam fährt er an. Dann wird er schneller. Immer und immer schneller. Doch egal wie schnell er fährt, er ist zu langsam. Ungeduldig sitze ich auf meinem Sitz. Man muss mir meine Ungeduld richtig ansehen, denn die anderen Fahrgäste werfen mir missbilligende Blicke zu. Aber das ist mir egal. Ich muss mich beeilen. Ich muss zu dir. Wenn ich zu spät komme bist du wahrscheinlich... . Daran will ich nicht denken. Die Landschaft fliegt an mir vorbei und meine Gedanken bleiben zurück. Wieder denke ich an gestern abend. Wir haben gestritten, wie so oft. Aber das es so schlimm kommen würde, dass es schlimmer kommen könnte als an jenem grausamen Abend vor drei Monaten, daran hatte ich nicht gedacht. Nun fahre ich mit dem Zug hinter dir, um dich davon abzuhalten die Pistole von deinem verreisten Onkel zu klauen und damit eine Kugel in deinen Kopf zu jagen. Gestern abend... . Ich wünschte ich hätte mich anders verhalten. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Warum bist du denn einfach wortlos gegangen? Du weißt doch, dass ich ein Idiot bin... . Aber du bist einfach gegangen. Einfach so. Ich wünschte, ich hätte nicht den halben abend vorm Computer verbracht.. mit fremden Mädchen gechattet, aber ich habe es getan. Und du? Warum hast du nichts gesagt, wie sonst immer? Warum hast du nicht einfach den Strom des Computers ausgeschaltet, wie sonst immer? Aber du hast nur am Fenster gesehen und ins Leere gestarrt. Und dann hast du gesagt, dass du gehst. Einfach so. Ich fragte warum. Ich wollte reden. Diskutieren. Streiten. Aber dann bist du gegangen. Hast dich umgezogen und bist gegangen. Erst dachte ich, du gehst nur zu einer Freundin, aber als ich deine einzige Freundin am nächsten Tag anrief, erfuhr ich von ihr, dass du nicht bei ihr gewesen wärst, nur eine SMS hätte sie bekommen, in der stand, du würdest zu deinem Onkel fahren. Du hattest mir erzählt, dass dein Onkel im Urlaub ist, dass er eine Pistole hat. Und ich weiß, du willst dich umbringen.
Der Zug hält. Ich muss umsteigen. Wie in Trance nehme ich das Chaos des Bahnhofs um mir herum war. Gleis 5... . Ich werde gestoßen und weggedrängt, aber es ist mir egal. Ich bin zu beschäftigt um mich darum zu kümmern. Endlich kommt der nächste Zug. Obwohl es nur 10 min waren kam es mir vor wie eine Ewigkeit. Ich setzte mich und der Zug fährt los. Wieder viel zu langsam. Erneut schweifen meine Gedanken ab. Weiter und weiter in die Vergangenheit, zu diesem schrecklichen Abend vor drei Monaten. Ich hatte dir damals versprochen, um neun zu Hause zu sein, aber dann traf ich alte Schulfreunde. Wir sind feiern gegangen. Daran, dass du zu Hause sitzt, dir Sorgen machst, auf mich wartest, daran habe ich nicht gedacht. Tut mir Leid, ich war und ich bin ein Idiot. Um halb zwei kam ich dann nach Hause. Du warst noch wach. Lagst auf der Couch im Wohnzimmer. Blicktest mich mit traurigen müden Augen. Waren deine Augen leicht gerötet oder lag das nur an dem vielen Alkohol den ich getrunken habe? Hattest du geweint? Ich weiß es bis heute nicht. "Du kommst spät!", das war das einzige was du sagtest und ich konnte nur auf deine zerschnittenen Arme blicken. Rote Tränen hattest du geweint. Beide Unterarme.. voller Schnitte... aus manchen lief noch Blut... . Die Klinge lag auf dem Wohnzimmertisch. Silber, kalt und ruhig. Ich war zu entsetzt um irgendetwas zu machen. Du hattest mir weh getan, sehr weh getan. Seit jenem Tag haben wir fast jeden Abend gestritten. Daran, dass ich dir sehr weh getan hatte, habe ich bis heute nicht gedacht. Ich war so blöd! Jetzt, da mir das Liebste was ich habe zu verloren gehen droht, jetzt beginne ich zu verstehen. Ich hoffe nur ich komme rechtzeitig, um mich zu entschuldigen, um dir zu sagen was für ein Idiot ich gewesen bin... .Gestern hätte ich noch von dir verlangt, dass du dich entschuldigst. Seltsam, wie schnell sie die Meinung ändert, wenn man denn anderen vielleicht nie wieder sieht... .
Warum haben wir uns nur dauernd wegen Kleinigkeiten gestritten? Ich war sauer, wenn du den Strom meines Computers ausgeschaltet hast, du warst sauer, wenn ich zu spät nach Hause gekommen bin, wenn ich dich nicht beachtet habe... . Es tut mir Leid. Ich bin ein schlechter Freund! Aber, weißt du, ich habe so viel mit anderen Mädchen gechattet, weil ich immer das Gefühl hatte, ich würde dir nicht genügen. Deinen Ansprüchen nicht gerecht werden. Doch auch jetzt, weiß ich es besser, du wolltest einfach nur jemand, der DA war. Jemand, der dich verstand, der dich auffangen konnte, wenn es dir mal wieder scheiße ging. Es tut mir Leid, als dein Freund habe ich versagt. Anstatt dich aufzufangen, ging es dir durch mein Verhalten noch schlechter, anstatt da zu sein, war ich lange weg, verletzte dich, war sauer weil du kaum noch mit mir geredet hast... . Aber du hast nicht mehr mit mir geredet, weil ich dir weh getan habe. Du wolltest nicht noch mehr verletzt werden. Zogst dich zurück. Es tut mir Leid. Ich habe so viele Fehler gemacht. Ich hoffe ich komme noch rechtzeitig. Ich hoffe du kannst mir vergeben. Ich kann nur wiederholen: Es tut mir Leid und ich bin so ein Idiot. Ich liebe dich doch...